Sonntag, 11.08.2024 - Alte Steine? Uralte Steine!
Meinen Rucksack muss ich heute nicht packen, nach einem Tagesausflug werde ich heute Abend nach Urfa zurück kommen. Aber erst einmal stecke ich in einem Pulk Fahrschulautos fest. Auf dem Basar ist ja alles geordnet - ein Bereich für Kupferwaren, einer für Kleidung, einer für Gewürze, ... das scheint bei der Fahrschule nicht anders zu sein.
Jetzt komme ich zu einem (weiteren) Highlight meiner Tour - nicht nur alte Steine, sondern richtig alte Steine! Ich besuche in Göbekli Tepe die ältesten bekannten Großanbauten der Menschheitsgeschichte und reise noch weit vor den Bau der Pyramiden ins zehnte Jahrtausend vor Christus. Erste Spuren wurden zwar schon 1963 gefunden, aber erst in den 1990er Jahren entdecken deutsche Archäologen die ganzen Ausmaße der Anlage und erkannten ihre Bedeutung. Es existieren mehrere Räume mit Stelen und T-Säulen, die eventuell besondere Wesen darstellen sollen, da an den Seiten teils Arme zu erkennen sind.
Ansonsten sind viele Darstellungen von männlichen Tieren zu finden.
Eine Interpretation geht dahin, dass es möglicherweise im Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur hin zum Ackerbau auch zur Verschiebung der matriarchalischen Religion hin zum Patriarchat gab. Die Jagd war nicht mehr der Haupternährer, also musste die männliche Dominanz nun auf metaphysische Ebene verschoben werden.
Es wird auch noch diskutiert, wie nun die Reihenfolge war - ob nach Sesshaftwerdung und Ackerbau der Mensch die Religion gefunden hat, oder ob es genau umgekehrt war, dass also der Bau einer solch gewaltigen Anlage es zwingend nötig machte, seinen Kalorienbedarf nicht nur mit Sammeln von Wildweizen zu decken, sondern ihn zu domestizieren.
Die Anlage war lange unter der Erde verborgen. Erst ging man davon aus, dass sie planvoll verschüttet wurden, aber neuere Vermutungen tendieren eher zu Folgen eines Erdbebens. Wie auch immer - ohne den Schutz hätte die Anlage mit Sicherheit nicht so intakt die 12.000 Jahre bis heute überdauert.
Göbekli Tepe ist aber bei weitem noch nicht vollständig ausgegraben. 2014 waren es 17%. Man kann den Archäologen bei der Arbeit quasi über die Schulter schauen.
Ich drehe meine Runde nun weiter und klappere eine Ausgrabung nach der anderen ab. In Sefer Tepe wird seit 2021 gegraben. Aufs Gelände kommt man als Besucher nicht, man erahnt nur etwas von der Straße aus.
Die Landschaft ringsrum ist ziemlich trocken. Hauptsächlich gelbes Steppengras mit ein paar grünen Feldern rund um die rar gesäten Dörfer.
Ich fahre also weiter nach Karahan Tepe, der kleineren Schwesterstätte von Göbekli Tepe. Sie wurde 1997 entdeckt und mittlerweile wurden auch hier über 250 T-Stelen ausgegraben. Und auch hier sind die Ausgrabungen in vollem Gange. Allerdings war es etwas unerwartet, hauptsächlich verschleierte Frauen in bunten, traditionellen Kleidern mit der Schippe in der Hand buddeln zu sehen. Das hat so gar nicht dem Archäologenklischee entsprochen.
So leer und verlassen die Gegend, die zwischen Steppe und Steinwüste schwankt, heute ist, so bedeutende Siedlungen gab es hier früher. In Sumatar haben wohl Statthalter der antiken Herrscher von Edessa (heute Şanlıurfa) residiert. Ich besteige den Tell, auf dem noch Reste einer mittelalterlichen Burg stehen und überblicke die Gegend. Im kilometerweiten Umkreis erkennt man Reste der antiken Siedlung. Es handelt sich wahrscheinlich um Heiligtümer der Sabier, einer im 13. Jh. untergegangenen Religionsgemeinschaften, über die nicht mehr viel bekannt ist, außer dass sie die Gestirne angebetet hat.
Im Dorf Şuayip Şehri tummeln sich hingegen die antiken Ruinen. Archäologische Ausgrabungen gab es hier noch keine. Die einzigen "Forscher" vor Ort sind die Kinder des Dorfes. Kaum parke ich, werde ich in Beschlag genommen, bekomme Feigen gefüttert und werde gleich in die Ruinen geführt. Mittels Handy wird übersetzt. Natürlich muss es dann zum Schluss auch Bakschisch geben...
Es muss hier noch eine ganze Menge Wohnhöhlen geben, die bis vor kurzem in Benutzung waren, teils auch mit antiken Wandmalereien. Die habe ich aber nicht gefunden. Eine Zeitlang soll Moses hier im Ort gelebt haben. Nachdem er einen Ägypter erschlagen hat, ist er hier her geflohen und hat die Tochter des Propheten Shuayb (Hebräisch: Jethro) geheiratet.
So langsam wird die Gegend immer grüner, ich bin in der Harran-Ebene, am Nordrand des fruchtbaren Mesopotamien. Die Karawanserei Han el Barur aus dem 13. Jh. war Teil der Seidenstraße. Bei der Mongoleninvasion wurde sie zerstört, aber vor 5 Jahren hat man sie restauriert.
Inmitten der grünen Felder befindet sich die alte Stadt Harran. Von der einstigen Größe ist nicht mehr so viel geblieben. Am Rande des Zentrums verfällt die Burg der Fatimiden. Davor gaben sich hier aber alle großen antiken Mächte die Klinke in die Hand: Hurriter, Hethiter, Mittani, Assyrer, Meder, Babylonier, Alexander der Große, Parther, Römer, Palmyra... usw. usf.
Den Mongolen ist es schließlich zu verdanken, dass von der alten Stadt seit 1260 nicht mehr viel übrig ist.
Harran ist aber auch schon in der Bibel (bzw. im jüdischen Tanach) erwähnt worden. Laut dieser Überlieferung stammt Abraham aus Harran (anders als es die Muslime glauben). Von hier aus zieht Abraham nach Kanaan. Und hierhin flüchtet Abrahams Enkel Jakob vor seinem Bruder Esau.
Ich werde gleich von Halil in Beschlag genommen, der mich durch den Ort führt, mir die eigentlich abgesperrte Burg durch den Hintereingang zeigt und mich zu den Resten der großen Moschee und Medrese bringt, die die erste Universität der arabischen Welt gewesen sein soll.
Seine "Gehaltsvorstellungen" zum Schluss sind allerdings astronomisch. 250€ für 1,5h bin ich nicht bereit zu zahlen. Tja, man kann's ja Mal probieren...
Sehr interessant waren auch die alten Bienenkorbhäuser. Die sind typisch für Harran, erinnern mich aber auch an die italienischen Trulli.
Natürlich kommt bei der Unterhaltung auch das Gespräch auf den Beruf. Als ich erzähle wird mir gleich der 6jährige autistische Neffe vorgeführt, damit ich fix eine Diagnose abgeben kann, wann er denn das Sprechen lernt. Die Bedingungen in der Südosttürkei sind halt nicht die besten. Zwei Tage pro Woche darf er in die Vorschule gehen.
In Harran gibt es außerdem noch den Jakobsbrunnen. Dies soll der Brunnen sein, an dem sich Jakob beim Schafe tränken in Rahel verliebt hat. Die Anlage ist allerdings schon geschlossen. Also verabschiede ich Halil hier und fahre zurück nach Şanlıurfa. In die Gegenrichtung geht es zur syrischen Grenze. Es ist die Straße nach Raqqa, der ehemaligen Hauptstadt des IS. Bis dorthin sind es nur knapp 90km.
Zurück in Şanlıurfa kühle ich mich erst im Hotel ab und gehe danach noch einmal durch die Gassen, u.a. vorbei an der Fırfırlı Moschee, die früher eine Kirche war, was man auch noch gut erkennt. Şanlıurfa, das antike Edessa, war schon früh christlich geprägt.
Die Sonne verschwindet so langsam hinter den Hügeln, aber sie steht gerade noch richtig, um die Überreste der römischen Felsengräber gut auszuleuchten.
Zu guter Letzt steige ich ich auf den Burgberg. Die Zitadelle ist allerdings schon geschlossen, aber der Blick ins Tal entschädigt.
Die Ruinen sind Überbleibsel einer Kreuzritterburg. Şanlıurfa war einst die Hauptstadt der Grafschaft Edessa, die während des ersten Kreuzzuges errichtet worden war. Allerdings war es auch der erste Kreuzfahrerstaat, der wieder unterging (1098-1144).