Ich war mal wieder alte Steine angucken...
Wer mit auf die Reise kommen möchte, kann für die nächsten Tage wieder seinen Koffer packen. Dicke Sachen dürfen zu Hause bleiben, es wird ein bisschen mehr Sommer geben, als an der dänischen Nordseeküste. Es geht viel mehr nach:
Anatolien
Disclaimer: eigentlich ist das ungenau. Umgangssprachlich ist Anatolien der ganze asiatische Teil der Türkei, aber eigentlich endet Anatolien am Euphrat. Der Einfachheit halber bleibe ich aber bei der Überschrift, auch wenn's noch etwas weiter geht.
Samstag, 03.08.2024 - Merhaba
Eigentlich hatte ich die Reise schon in der Grundstruktur für Ostern 2020 geplant. Aber irgendwas ist mir damals dazwischen gekommen... Jetzt dachte ich mir, greife ich den alten Plan noch einmal auf, feile dran rum und fliege einfach mal los. Mit Pegasus geht es von Berlin direkt nach Ankara. Geflügelte Pferde können recht störrisch sein und so gab es auch gleich erst einmal eine Stunde Verspätung. Und so wenig Beinfreiheit hatte ich bisher auch noch nie. Ob ich mit denen noch einmal fliegen werde, muss ich mir genau überlegen.
Immerhin war der Flug ansonsten gut und es gab einen schönen Blick auf die beleuchteten Bosporusbrücken. Auch die Einreise in Ankara war unkompliziert. Nur die Handyläden sind die reinsten Straßenräuber. 50€ für eine SIM-Karte!!! Da der Flughafen Ankara Esenboğa ziemlich weit draußen liegt gibt es noch eine längere Fahrt mit dem Shuttlebus und einen kurzen Fußmarsch bis zum Hotel, das malerisch direkt neben der Melike Hatun Moschee liegt. Weniger malerisch ist, dass dann auch der Muezzinruf um viertel fünf direkt neben dem Kopfkissen erschallt.
Sonntag, 04.08.2024 - Die etwas andere Hauptstadt
Gemeinhin ziehts den Touristen ja eher nach Istanbul, doch das ist schon lange nicht mehr die Hauptstadt des Landes. Um sich vom osmanischen Erbe zu distanzieren verlegte Atatürk die Hauptstadt noch vor Republikgründung 1923 ins anatolische Hochland. In den letzten 100 Jahren ist Ankara dann von 25.000 Einwohnern auf 5,8 Millionen gewachsen. Dementsprechend. Von der ursprünglichen Planung deutscher Architekten, eine Gartenstadt zu errichten, ist allerdings nicht mehr viel übrig.
Meinen Stadtrundgang starte ich an den Caracalla-Thermen. Denn natürlich waren auch die Römer schon hier. Damals hieß die Stadt noch Angora (Heimat der Angorakatzen). Die Thermen stammen vermutlich aus der Zeit Kaiser Caracallas (211-17) und waren etwa 500 Jahre in Benutzung. Auch wenn noch im 19. Jh. große Teile der Bebauung erhalten gewesen sein sollen, stehen jetzt nur noch die Grundmauern. Sehr schön sieht man allerdings das Hypokaustum, die alte Fußbodenheizung.
In römischer Zeit hätte ich nun auf einer ladengesäumten Säulenstraße bis zum Augustustempel gehen können. Von der Säulenstraße ist nur noch ein kläglicher Rest vorhanden, vom Tempel der Roma und des Augustus ein wenig mehr. Das besondere ist die hier angebrachte Inschrift der Res gestae divi Augusti, des Rechenschaftsberichtes des ersten römischen Kaisers Augustus. Hierbei handelt es sich um die einzige vollständig erhaltene Version.
Nach Republikgründung war es Atatürk ein Bedürfnis nachzuweisen, dass schon immer Turkvölker in der Türkei gesiedelt haben, u.a. auch dass die Hethiter ein Turkvolk waren. Für sie wurde in den 1930er Jahren das Hethitermuseum eröffnet. Die Turktheorie hat sich zerschlagen und das Museum hat seinen Blick auch für andere anatolische Zivilisationen geöffnet. Die ältesten Exponate sind über 400.000 Jahre alt. Das Museum lohnt sich für Freunde alter Steine absolut. Die (größeren) türkischen Museen sind auch mit einem guten Audioguidesystem ausgestattet. Allerdings muss man sich das nicht für 350 Lira an der Kasse aufschwatzen lassen, denn da bekommt man nur ein paar Bluetoothkopfhörer. Man kann auch ganz kostenfrei die eigenen Kopfhörer nutzen, da der Audioguide über eine App läuft, die man mit seiner normalen Eintrittskarte aktiviert. Das Lehrgeld habe ich aber nur einmal gezahlt.
Immer wieder faszinierend finde ich auch die ganzen Keilschrifttafeln, die ausgestellt sind. Hier gab es teilweise Übersetzungen, und Inhaltszusammenfassungen. Natürlich ist es wie mit jeder anderen Schrift, aber es ist Wahnsinn, dass da jemand aus den sehr kleinen und eng aneinandergesetzten Kerben etwas herauslesen kann.
Ankara kannte ich bisher nur im Vorbeifahren, endlos monotone Reihenhaussiedlungen entlang der Autobahn.
Jetzt steife ich nun durch die Gassen... Oder besser: klettere. Wer hätte gedacht, dass Ankara so bergig ist. Der Aufstieg zur Zitadelle ist schweißtreibend. Und das ist nur zum Teil dem Wetter geschuldet (zur Zeit nur 32°C). Dafür werde ich oben mit einem tollen Panoramablick belohnt. Rund um den Burghügel wird die Altstadt langsam restauriert - strahlend weiße Häuser und enge Gassen.
Auch sehr schön... Für den stilbewussten Innenausstatter wird das Grammophon in die Moderne gerettet
Ankara hat viele Moscheen, aber nicht alle sehen so aus, wie der typische von der Hagia Sophia inspirierte osmanische Kuppelbau. Die Aslanhane, bzw. Ahi Şerafettin Moschee stammt noch von den Seldschuken - die stammen ursprünglich aus Mittelasien - und ist eine der ältesten erhaltenen Moscheen in der Türkei. Die dunklen Holzsäulen schaffen eine angenehme Atmosphäre.
Eigentlich wollte ich nun noch zum Anıtkabir, dem Atatürkmausoleum, aber als ich davor stehe, schließt das Ding gerade. Das muss ich dann wohl auf morgen verschieben. Zumindest aus der Ferne lugt es schon einmal über die Dächer.
Nachdem mich der Muezzin ja nun schon nach vier aus dem Bett geschmissen hat, schaue ich zumindest auch noch einmal in seine Moschee - Melike Hatun, nagelneu und diesmal klischeetürkische Architektur. Und zum Tagesabschluss geht's dann noch in den Gençlik Parkı, den Rest des Planes, Ankara zur grünen Oase in der zentralanatolischen Steppe zu machen.
Auf dem Rückweg zum Hotel komme ich dann noch an zwei Parlamenten vorbei. Das Osmanische Reich war ja schon länger der kranke Mann am Bosporus. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges ist der Patient schließlich auch gestorben und die Siegermächte haben in den Pariser Vorortverträgen angefangen den Leichnam zu zerstückeln. Die Armenier sollten einen Großteil Ostanatoliens erhalten, ein autonomer Kurdenstaat sollte entstehen... Dagegen formte sich schnell Widerstand unter Atatürk. Mit einigen Zwischenschritten und Konferenzen wurde 1920 die "große Nationalversammlung" in Ankara einberufen, das erste Parlament. Gleichzeitig existierte die Hohe Pforte des Sultans aber noch. Erst 1923 wurde die Republik aufgerufen. Die große Nationalversammlung musste aber aus Platzgründen schon 1924 in ein neues Gebäude umziehen. 1960 schließlich folgte Parlament Nummer drei, aber das ist in einer anderen Ecke Ankaras.
Wer mit auf die Reise kommen möchte, kann für die nächsten Tage wieder seinen Koffer packen. Dicke Sachen dürfen zu Hause bleiben, es wird ein bisschen mehr Sommer geben, als an der dänischen Nordseeküste. Es geht viel mehr nach:
Anatolien
Disclaimer: eigentlich ist das ungenau. Umgangssprachlich ist Anatolien der ganze asiatische Teil der Türkei, aber eigentlich endet Anatolien am Euphrat. Der Einfachheit halber bleibe ich aber bei der Überschrift, auch wenn's noch etwas weiter geht.
Samstag, 03.08.2024 - Merhaba
Eigentlich hatte ich die Reise schon in der Grundstruktur für Ostern 2020 geplant. Aber irgendwas ist mir damals dazwischen gekommen... Jetzt dachte ich mir, greife ich den alten Plan noch einmal auf, feile dran rum und fliege einfach mal los. Mit Pegasus geht es von Berlin direkt nach Ankara. Geflügelte Pferde können recht störrisch sein und so gab es auch gleich erst einmal eine Stunde Verspätung. Und so wenig Beinfreiheit hatte ich bisher auch noch nie. Ob ich mit denen noch einmal fliegen werde, muss ich mir genau überlegen.
Immerhin war der Flug ansonsten gut und es gab einen schönen Blick auf die beleuchteten Bosporusbrücken. Auch die Einreise in Ankara war unkompliziert. Nur die Handyläden sind die reinsten Straßenräuber. 50€ für eine SIM-Karte!!! Da der Flughafen Ankara Esenboğa ziemlich weit draußen liegt gibt es noch eine längere Fahrt mit dem Shuttlebus und einen kurzen Fußmarsch bis zum Hotel, das malerisch direkt neben der Melike Hatun Moschee liegt. Weniger malerisch ist, dass dann auch der Muezzinruf um viertel fünf direkt neben dem Kopfkissen erschallt.
Sonntag, 04.08.2024 - Die etwas andere Hauptstadt
Gemeinhin ziehts den Touristen ja eher nach Istanbul, doch das ist schon lange nicht mehr die Hauptstadt des Landes. Um sich vom osmanischen Erbe zu distanzieren verlegte Atatürk die Hauptstadt noch vor Republikgründung 1923 ins anatolische Hochland. In den letzten 100 Jahren ist Ankara dann von 25.000 Einwohnern auf 5,8 Millionen gewachsen. Dementsprechend. Von der ursprünglichen Planung deutscher Architekten, eine Gartenstadt zu errichten, ist allerdings nicht mehr viel übrig.
Meinen Stadtrundgang starte ich an den Caracalla-Thermen. Denn natürlich waren auch die Römer schon hier. Damals hieß die Stadt noch Angora (Heimat der Angorakatzen). Die Thermen stammen vermutlich aus der Zeit Kaiser Caracallas (211-17) und waren etwa 500 Jahre in Benutzung. Auch wenn noch im 19. Jh. große Teile der Bebauung erhalten gewesen sein sollen, stehen jetzt nur noch die Grundmauern. Sehr schön sieht man allerdings das Hypokaustum, die alte Fußbodenheizung.
In römischer Zeit hätte ich nun auf einer ladengesäumten Säulenstraße bis zum Augustustempel gehen können. Von der Säulenstraße ist nur noch ein kläglicher Rest vorhanden, vom Tempel der Roma und des Augustus ein wenig mehr. Das besondere ist die hier angebrachte Inschrift der Res gestae divi Augusti, des Rechenschaftsberichtes des ersten römischen Kaisers Augustus. Hierbei handelt es sich um die einzige vollständig erhaltene Version.
Nach Republikgründung war es Atatürk ein Bedürfnis nachzuweisen, dass schon immer Turkvölker in der Türkei gesiedelt haben, u.a. auch dass die Hethiter ein Turkvolk waren. Für sie wurde in den 1930er Jahren das Hethitermuseum eröffnet. Die Turktheorie hat sich zerschlagen und das Museum hat seinen Blick auch für andere anatolische Zivilisationen geöffnet. Die ältesten Exponate sind über 400.000 Jahre alt. Das Museum lohnt sich für Freunde alter Steine absolut. Die (größeren) türkischen Museen sind auch mit einem guten Audioguidesystem ausgestattet. Allerdings muss man sich das nicht für 350 Lira an der Kasse aufschwatzen lassen, denn da bekommt man nur ein paar Bluetoothkopfhörer. Man kann auch ganz kostenfrei die eigenen Kopfhörer nutzen, da der Audioguide über eine App läuft, die man mit seiner normalen Eintrittskarte aktiviert. Das Lehrgeld habe ich aber nur einmal gezahlt.
Immer wieder faszinierend finde ich auch die ganzen Keilschrifttafeln, die ausgestellt sind. Hier gab es teilweise Übersetzungen, und Inhaltszusammenfassungen. Natürlich ist es wie mit jeder anderen Schrift, aber es ist Wahnsinn, dass da jemand aus den sehr kleinen und eng aneinandergesetzten Kerben etwas herauslesen kann.
Ankara kannte ich bisher nur im Vorbeifahren, endlos monotone Reihenhaussiedlungen entlang der Autobahn.
Jetzt steife ich nun durch die Gassen... Oder besser: klettere. Wer hätte gedacht, dass Ankara so bergig ist. Der Aufstieg zur Zitadelle ist schweißtreibend. Und das ist nur zum Teil dem Wetter geschuldet (zur Zeit nur 32°C). Dafür werde ich oben mit einem tollen Panoramablick belohnt. Rund um den Burghügel wird die Altstadt langsam restauriert - strahlend weiße Häuser und enge Gassen.
Auch sehr schön... Für den stilbewussten Innenausstatter wird das Grammophon in die Moderne gerettet
Ankara hat viele Moscheen, aber nicht alle sehen so aus, wie der typische von der Hagia Sophia inspirierte osmanische Kuppelbau. Die Aslanhane, bzw. Ahi Şerafettin Moschee stammt noch von den Seldschuken - die stammen ursprünglich aus Mittelasien - und ist eine der ältesten erhaltenen Moscheen in der Türkei. Die dunklen Holzsäulen schaffen eine angenehme Atmosphäre.
Eigentlich wollte ich nun noch zum Anıtkabir, dem Atatürkmausoleum, aber als ich davor stehe, schließt das Ding gerade. Das muss ich dann wohl auf morgen verschieben. Zumindest aus der Ferne lugt es schon einmal über die Dächer.
Nachdem mich der Muezzin ja nun schon nach vier aus dem Bett geschmissen hat, schaue ich zumindest auch noch einmal in seine Moschee - Melike Hatun, nagelneu und diesmal klischeetürkische Architektur. Und zum Tagesabschluss geht's dann noch in den Gençlik Parkı, den Rest des Planes, Ankara zur grünen Oase in der zentralanatolischen Steppe zu machen.
Auf dem Rückweg zum Hotel komme ich dann noch an zwei Parlamenten vorbei. Das Osmanische Reich war ja schon länger der kranke Mann am Bosporus. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges ist der Patient schließlich auch gestorben und die Siegermächte haben in den Pariser Vorortverträgen angefangen den Leichnam zu zerstückeln. Die Armenier sollten einen Großteil Ostanatoliens erhalten, ein autonomer Kurdenstaat sollte entstehen... Dagegen formte sich schnell Widerstand unter Atatürk. Mit einigen Zwischenschritten und Konferenzen wurde 1920 die "große Nationalversammlung" in Ankara einberufen, das erste Parlament. Gleichzeitig existierte die Hohe Pforte des Sultans aber noch. Erst 1923 wurde die Republik aufgerufen. Die große Nationalversammlung musste aber aus Platzgründen schon 1924 in ein neues Gebäude umziehen. 1960 schließlich folgte Parlament Nummer drei, aber das ist in einer anderen Ecke Ankaras.