Dienstag, 11.04.2023
Heute ist die Stimmung nicht ganz so gut. Unser Gefährt muss leider getauscht werden, das Getriebe macht Probleme. Also steigen wir auf Karwans Toyota Camry um, was leider eine deutliche Verschlechterung darstellt, da sich drei auf die Rückbank quetschen müssen. Und natürlich haben wir dadurch auch an Geländegängigkeit eingebüßt. Einen Punkt unseres Planes werden wir deshalb wohl streichen müssen, was insbesondere meinen Engländer sehr ärgert, da seine Geländegängigkeit und Fitness fürs Streichen vorgeschoben werden. Spoiler: am Ende werden alle glücklich.
Wir fahren verkleinert weiter.
Aber jetzt starten wir erst einmal und verlassen Erbil wieder Richtung Osten, nach Koy Sanjaq. Die Stadt, die auch Koya genannt wird, hat viele Künstler hervorgebracht und ist deshalb auch als Stadt der Poeten bekannt. U.a. Yûnis Re'ûf (Dildar), der Schöpfer der kurdischen Hymne stammt von hier, wie auch Haji Qadir Koyi, der Architekt des kurdischen Nationalismus. Wir besuchen ein Fort aus osmanischer Zeit mit einem kleinen Heimatmuseum. Das ist als Ersatz für den weg gefallenen Punkt gedacht, stellt aber nicht so ganz zufrieden. Allerdings geraten wir in einen Schulausflug hinein. Ich glaube das Gesprächsthema der nächsten Tage werden weder Hymne noch Nationalismus sein, sondern die vier Touristen. Und Datenschutz? Fotoerlaubnis? DSGVO? Who cares? Die Gruppenbilder der Schüler mit den Wildfremden übernimmt der Klassenlehrer höchstpersönlich.
Koy Sanjaq. Meine neue Klasse im Osmanischen Fort.
Unterwegs geht es wieder durch die Berge. Nicht ganz so hoch wie die letzten Tage, aber auch mit schönen Ausblicken. Nur etwas diesig ist es. Wir warten auf den angekündigten großen Regen. Zumindest vom Temperatursturz ist noch nichts zu merken.
An den Straßenrändern steht auch wieder gallonenweise Sprit. Der wird über die Grenze aus dem Iran her geschmuggelt. Auf dem Rückweg wird dann Alkohol mitgenommen.
Sprit in Flaschen.
In einem malerischen Tal bei Qizqapan gelegen finden wir wieder ein Felsengrab. Wer genau hier liegt, lässt sich nicht mehr sagen, aber die Legende lautet, dass ein Mann aus dem einfachen Volk mit der Tochter eines Adeligen durchgebrannt ist und beide hier ihre letzte Ruhestätte fanden. Das Grab stammt wohl aus der Zeit zwischen 600-330 v. Chr. Nachdem viele Sprayer hier ihr Unwesen getrieben haben, ist es jetzt mit einem unansehnlichen Gitter geschützt.
Felsengrab von Qizqapan
Nicht ganz so weit zurück in der Geschichte führt uns Chami Rezan, nur ein paar Seitentäler weiter. Die Einheit des Iraks mit Kurdistan ist ein schweres Erbe, dass die Mandatsmächte nach der Zerschlagung des osmanischen Reiches hinterlassen haben. Die Kurden wollen ihren eigenen Staat und die Araber wollen sie nicht ziehen lassen. 1961 kam es kurz nach dem Sturz des irakischen Königshauses zum ersten irakisch-kurdischen Krieg, nachdem die eigentlich versprochene Autonomie doch nicht gewährt wurde.
Die kurdischen Kämpfer machten sich die Geographie zu Nutze und verbargen sich im Schutz der Berge und Höhlen. Die Sahra Höhle in Chami Rezan war das Hauptquartier des 'Voice of Kurdistan' Radiosenders. Zur Ruhe gekommen ist Kurdistan seitdem aber immer noch nicht. Es folgt noch ein zweiter Kurdenkrieg in den 1970ern, eine Revolte 1991 und ein Unabhängigkeitsreferendum 2017. 92% stimmten für die Unabhängigkeit, aber der Irak erkannte das Referendum nicht an. Es kam wieder zu Kämpfen, in deren Folge Kurdistan u.a. Kirkuk verloren hat.
Um zur Sahra Höhle zu gelangen müssen wir wieder ziemlich klettern. C. und J. tun sich das heute nicht an. Oben angekommen muht uns schon ein Echo entgegen - eine Kuhherde hat es sich in der Höhle gemütlich gemacht.
Am Nachmittag erreichen wir Sulaymaniyah/Slemani. Unser Hotel befindet sich diesmal mitten im Basar, in den ich nach einer kurzen Verschnaufpause auch gleich zusammen mit der Österreicherin eintauche. Es ist bis jetzt einer der größten und verwinkeltsten, die ich kenne. An jeder Ecke gibt es etwas zu gucken, egal ob Gewürze, Obst, Stoffe, Wasserhähne oder Schafsköpfe. Die Goldstraße ist einige Dutzend Meter lang. Hier kann man echt die Zeit vertrödeln. Und wir kommen doch tatsächlich auch an der Pizzeria „Zur blauen Donau“ vorbei. Klar, dass da mit der Österreicherin ein Foto gemacht werden muss. Daraufhin lädt uns der Inhaber, der nach 20 Jahren in Wien zurück in die Heimat gekommen ist, zum Tee ein und wir unterhalten uns eine knappe dreiviertel Stunde.
Sulaymaniyah
Der Basar von Slemani gilt als der Beste in Kurdistan.
2015 gingen die Bilder eines kleinen Jungen im die Welt, der auf der Flucht vor dem IS im Mittelmeer ertrunken ist. Alan Kurdi war ein syrischer Kurde. Er ist nur 2 Jahre alt geworden. In Sulaymaniyah hat man ihm ein Denkmal gesetzt.
Zum Abendessen gibt es aber keine Pizza. Stattdessen stürzen wir uns heute ins Getümmel. In der Selim Street gibt es auf über einen Kilometer einen Essensstand neben dem anderen, da kann man sich fast nicht entscheiden. Am Ende wird es wieder Lamm mit Falafel. Zum Nachtisch gibt es Kunafa. Käse mit Kadaif (Engelshaar). Göttlich!
Abendessen gibts in internationalem Ambiente.
Kunafa.
Zum Schluss gibt es noch den kurzen Blick vom Hoteldach, doch die ersten Tropfen kommen schon. Später öffnet der Himmel dann seine Schleusen so richtig. Slemani, auch als Stadt der Winde bekannt, hat übers Jahr in etwa so viel Niederschlag, wie Potsdam. Da zwischen Mai und November aber kaum etwas fällt, ist der Rest umso feuchter. Im Winter liegt oft Schnee, während es im Sommer auch mal 45°C werden können.