Osterzeit ist Reisezeit 
Also muss ich euch mal wieder mit in die weite Welt hinaus nehmen.
Und da 6.000 Bilder erst einmal aussortiert werden wollen, kommt alles ein wenig in Etappen.
Wohin geht es aber überhaupt?
Kurdistan!
Planung:
In den Irak habe ich euch ja schon 2019 einmal mitgenommen. Damals bin ich mit Einer Reisegruppe unterwegs gewesen. Leider ist der damalige Reiseleiter im vergangenen Jahr auf seiner letzten Iraktour verstorben. Er war mit 85 Jahren vermutlich einer der weltältesten Führer.
www.bradtguides.com
Irak ist ja nun nicht das Land, das man als Individualreisender gleich auf dem Schirm hat. Aber die damaligen Erfahrungen haben mich doch etwas sicherer hier gemacht. Und da einige meiner damaligen Mitreisenden die gleiche Wellenlänge haben, wollten wir noch einmal losziehen. Durch die ursprünglichen Pläne (Syrien 2020) hat uns Corona einen Strich gemacht, aber nun haben wir einen neuen Anlauf genommen und uns selbst eine Tour zusammengestellt. Diesmal ohne bewaffnete Eskorte und nur als Grüppchen von vier Personen.
Die Organisation war ziemlich unkompliziert. Es gibt mittlerweile einige gute Reiseblogs, die den Irak abgrasen und bei Facebook eine sehr aktive Travellercommunity für den Irak. Da merkt man erstmal, wie viele Individualtouristen (auch Frauen, auch alleinreisende Frauen) in der Region unterwegs sind. Zusätzlich haben wir uns zwei lokale Guides über diese Kanäle organisiert, weil es den Transport etwas einfacher macht. Unkomplizierte und sehr engagierte Leute.
Theoretischerweise hätten wir das sicher auch ganz ohne Guide hinbekommen, aber es war schon sehr hilfreich, da viele Besuchspunkte nur schwer zugänglich waren. V.a. sind die Google-Koordinaten da auch nicht immer korrekt gesetzt, wenn überhaupt vorhanden.
Für die Finanzen empfiehlt sich schon noch das gute alte Bargeld. Es gibt zwar ab und zu auch ATMs, aber trotzdem zu selten, als dass ich mich darauf verlassen würde. Nur zwei Hotels konnte man mit Kreditkarte bezahlen. Allerdings fühlt es sich schon komisch an, mit 2.000€ im Rucksack durch die Basare zu tingeln. Wechseln war nirgends ein Problem. Man muss auch keinen Umweg über Dollar nehmen, Euro werden auch akzeptiert. Allerdings zum exakt gleichen Kurs, wodurch er etwas schlechter wegkommt.
Aber jetzt zum eigentlichen Geschehen:
Freitag, 31.03.2023 und Samstag, 01.04.2023
Heute werden Überstunden abgebaut und während meine Klasse noch fleißig (oder wohl eher nicht) in der Schule sitzt, fahre ich los. Ein wenig habe ich im Vorfeld schon gezittert, dass der Streik mir einen Strich durch die Rechnung macht, aber der war ja glücklicherweise schon Anfang der Woche abgehandelt. Zum Kostensparen fliege ich diesmal nicht ab Berlin, sondern Hannover. Mit der Bahn geht’s dorthin, mit kurzem Zwischenstopp in Magdeburg. Einmal zum Dom gehetzt und dann zurück zum Zug. Zum Glück gabs noch keinen Ferienansturm am Flughafen, so ging es dort recht zackig weiter bis Istanbul.
Zwischenstopp in Magdeburg
Der Flughafen Istanbul ist groß, modern ... und nicht vor jeder Technikpanne gefeit :smiley_grinsen:
Hier am IST treffe ich dann des Nachtens am Gate eine Freundin, die aus Klagenfurt anreist und mich nun bis Bagdad begleitet. Seit neuestem gibt es für EU-Bürger Visa on Arrival, das macht es schön unkompliziert. Zwar braucht die Bürokratie trotzdem eine Stunde, um den Zettel in den Pass zu kleben, aber was solls. Vom Flughafen aus geht’s dann mit dem Taxi zum Hotel, mit booking.com vorgebucht. Early Check in 06:00 früh ist ohne Aufpreis möglich und sogar ein Frühstück wird noch aufs Zimmer serviert.
Danach treffen wir die anderen beiden unserer Gruppe. An dieser Stelle ein kurzer Überblick über uns: 1x Deutschland, 1x Österreich (M), 2x Großbritannien (C&J). Wer jetzt denkt, Irak ist was für junge aktive, der liegt sehr falsch. Ich bin das Küken in der Gruppe. AT ist 67, UK ist 80 und Mitte 70er. Aber sowas von abenteuerlustig, das passt zu meinem Reisetempo.
Am Hotel nimmt uns nun Ibraheem, unser erster Guide in Empfang. C&J sind schon zwei Tage länger hier und haben sich rumkutschieren lassen, gemeinsam bummeln wir heute aber noch einmal durch die Stadt. Das meiste haben wir ja schon 2019 gesehen, daher erspare ich euch die Berichte und Bilder dazu, das lässt sich ja im alten Bericht nachlesen .
Was allerdings neu hinzukommt, ist die Grüne Zone! Darauf habe ich mich besonders gefreut. Die Grüne Zone ist das Regierungs- und Botschaftsviertel. Seit der US-Invasion war sie für die Öffentlichkeit gesperrt, erst seit Januar 2023 darf man wieder durch fahren. Hier befindet sich das Aufmarsch- und Paradegelände von Saddam Hussein, die riesigen Schwerter von Qadisiyah und das Grabmal des unbekannten Soldaten. Zwar war auch jetzt das Anhalten ohne vorherige Genehmigung von irgendeinem Amt nicht erlaubt, aber immerhin konnte man den ein oder anderen Blick erhaschen.
Bagdad. Grüne Zone. Grab des unbekannten Soldaten. Die Ausmaße der Anlage lassen sich aus der Perspektive nur erahnen. Die Kuppel ist knapp 42m groß.
Schwerter von Qadisiyah. Die Hände bilden jene Saddam Husseins nach, sogar die Fingerabdrücke sollen stimmen. Der Triumphbogen nimmt Bezug auf die Schlacht, bei der die muslimischen Araber im Jahr 636 die Perser besiegten und ist symbolischerweise während des Irak-Iran-Krieges in den 1980ern errichtet worden.
Stopp Nummer zwei ist die Abu-Hanifa-Moschee. Abu Hanifa war ein Rechtsgelehrter und sein Schrein ist die wichtigste sunnitische Moschee Bagdads. Wir beschränken uns aber heute auf einen Blick von außen, da wir dachten, dass bestimmt noch ausreichend Moscheebesuche vor uns liegen. Erstaunlicherweise war dies aber nicht der Fall.
Abu Hanifa Moschee
Stattdessen haben wir viele, viele Kirchen besucht, angefangen mit der St George's Anglican Church. Das ist ein recht schlichter Ziegelbau, wegen dem wir aber gar nicht hier waren. Wir waren auf der Suche nach dem Grab des Reiseleiters. Dazu gab es unterschiedliche Angaben. Diese Kirche stellte sich aber als falsch raus. Fündig wurden wir auf dem Episcopal Anglican Cemetery. Die Grabstätte macht aber einen sehr traurigen Eindruck: eine unmarkierte Grube in einer Ecke. Der Friedhofswärter, dessen Familie sich schon seit Generationen um den Friedhof kümmert, konnte sie uns zeigen. Allerdings liegt er in erlauchter Nachbarschaft: gleich gegenüber ruht Gertrude Bell, Forschungsreisende, Abenteurerin und Archäologin. Ich glaube im Grunde hat er die Ruhestätte gefunden, die er sich auch gewünscht hätte.
Die Grube links neben dem Häuschen ist das Grab.
Gleich gegenüber das Grab von Gertrude Bell.
Wir schlendern noch ein bisschen über den Basar und fahren an viel Street Art vorbei, bevor wir uns zum nächsten Handyshop begeben: SIM-Karten werden benötigt. Das war eine Prozedur. Die Karte wird in einem Laden gekauft. Allerdings ist sie nicht perforiert, also muss man zu einem zweiten Laden gehen, der sie in die richtige Größe schneidet.
Trüffel
In der Mutanabbi-Straße, die Buchhändlerstraße und über Jahrhunderte das geistige Zentrum des Iraks. Besonders die Reihe mit Churchill, Rommel, Machiavelli, Hitler, Che Guevara und Plato ist schon eine ausgesuchte Zusammenstellung.
Es gibt noch einige sehr schöne alte Fassaden im Zentrum, aber es wird leider sehr wenig gepflegt.
In der Unterführung am Tahrirplatz gibt es viel Street-art. Da es sehr regierungskritisch ist, wird es nicht gern gesehen, wenn Touristen vorbei flanieren... Wir fahren deshalb. Auch, weil es einfach keine Parkplätze gibt.
Sheherazade erzählt Sharirar ihre Märchen.
Es wird leider sehr wenig Wert auf eine gepflegte Umgebung gelegt.
So langsam rückt nun auch der Abend näher, also begeben wir uns auf die Suche nach einem Restaurant… hier sitzen wir nun auch am Tisch und warten auf Iftar. Schließlich ist ja Ramadan. Doch kaum ruft der Muezzin, geht das große Fressen los. Und der Begriff ist nicht untertrieben. Angespanntes Warten bis 18.28 Uhr, dann beginnt man mit einer Dattel. Und nach nicht mal einer Stunde ist das ganze Spektakel schon vorbei.
Zu 95% sitzen natürlich die Männer im Restaurant. Frauen scheinen größtenteils zu Hause zu bleiben.
Nach dem Fastenbrechen ist vor dem Fastenbrechen
Also was den Ramadan angeht, war es kein sehr anstrengendes Reisen. Wir haben auch tagsüber zu Essen bekommen, wenn wir wollten. Restaurants und Teehäuser sind dann nur mit großen Tüchern verhangen, damit man nicht reinschauen kann. Da kommen später noch Bilder.
Der erste Guide, Ibraheem, hat sich auch ans Fasten gehalten. Der nächste hat es dann davon abhängig gemacht, was auf dem Tagesplan stand. Aber wenn ein Fastentag ausgelassen wird, muss man den hinterher nachholen, habe ich gelernt.
Aber springen wir wieder zur Reise:
Sonntag, 02.04.2023
Heute steht die längste Etappe der Tour bevor, dementsprechend zeitig brechen wir auf. Das morgendliche Bagdad ist erstaunlich leer, kaum Autos auf den Straßen. Das ändert sich dann, je höher die Sonne steht.
Bis Samarra fahren wir auf bekannten Wegen. Aber heute soll es ja noch weiter gehen. Der Highway ist schlecht. Viele Schlaglöcher, Spurrinnen und Verkehr, der einem links und rechts entgegenkommt. Die Landschaft ist erst sehr grün, wird dann aber schnell wüstenähnlich, dennoch stehen immer wieder große Regenpfützen am Straßenrand. Auch an Checkpoints müssen wir ab und zu anhalten. Der Pass wird kontrolliert, aber Probleme haben wir nirgends.
Bagdad
Wir fahren an Al-Awja vorbei. Das Dorf ist der Geburtsort Saddam Husseins. Auch wenn er ein Diktator war, sehnen sich viele nach seiner Zeit zurück. Aber einfach auch aus dem Grund, dass das Chaos, was danach kam - US-Invasion, Unruhen, Islamischer Staat - in den Augen Vieler noch viel schlimmer war.
Samarra sehen wir nur aus der Ferne. Aber 2019 haben wir die Malwiya ja schon bestiegen.
Gegen Mittag biegen wir dann von der Hauptstraße ab und verabschieden uns in die Wüste. Das heutige Highlight: Hatra. Die Stadt wurde knapp 300 Jahre v.Chr. gegründet und 241 n.Chr. aufgegeben. Für mich wirkt es fast wie ein Gegenstück zu Palmyra in Syrien. Als Kleinkönigreich der Parther war Hatra einer der bedeutendsten Fundorte aus jener Zeit.
Der IS hat hier ziemlich gewütet. Der Figurenschmuck und die Reliefs wurden heruntergeschlagen und die Ruinen für Schießübungen genutzt. Glücklicherweise wurde nicht alles planiert, so wie es andernorts leider geschehen ist.
Touristen kommen erst seit kurzem wieder aufs Gelände. Und unser Fahrer Ibraheem hatte die Karten vorab schon extra aus Mosul geholt, bevor er uns in Bagdad getroffen hat. Immerhin knapp 5 h pro Strecke. Guter Mann
Wie in Babylon hat auch hier Saddam Hussein umfangreiche Restaurierungen vornehmen lassen, inklusive der mit seinem Monogramm geschmückten Ziegel. Ein Baukran aus dieser Zeit steht seit Anfang der 1990er noch auf dem Gelände.
Willkommen in Hatra!
Die Schrift ist aramäisch. Auch wenn dieses Beispiel alt ist, wird es auch heute noch gesprochen und geschrieben, hauptsächlich von den im Land verbliebenen Christen.
Der IS hat Hatra als Truppenübungsplatz missbraucht.
Nach den antiken Ruinen erreichen wir nun unser Tagesziel: Mosul. Uns war schon bewusst, was uns in der ehemaligen Hauptstadt des islamischen Kalifats erwartete, aber trotzdem können einen die Bilder und Blogs nicht wirklich darauf vorbereiten, wenn man tatsächlich inmitten der Ruinen steht.
Mosul war ursprünglich ein Schmelztiegel: Muslime, Juden und Christen lebten hier. Insbesondere für letztere war die Stadt ein wichtiges Zentrum, wovon noch viele Kirchen zeugen. 2014 eroberte der IS die Stadt, vertrieb einen Teil der Bevölkerung und zwang den Rest zur Konversion unter der Androhung der Hinrichtung. Es herrschte ein Terrorregime, bis kurdische Milizen Mosul 2017 zurückeroberten. In den Kämpfen wurde insbesondere die Altstadt schwerst beschädigt.
Das alte Mosul muss eine schöne Stadt gewesen sein.
Die Ruinen sind zudem gekennzeichnet. Liegt ein weißer Stein in der Tür, wurde sie schon beräumt, ein roter Stein zeigt an, dass sich noch Minen oder Munition darin befinden könnten.
Al Nuri Moschee. Hier hielt der Anführer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, am 4. Juli 2014 in seinem einzigen öffentlichen Auftritt eine Freitagspredigt (Chutba), nachdem er am 29. Juni 2014 vom Sprecher des IS, Abu Mohammad al-Adnani, zum „Kalifen“ erklärt worden war. Die Moschee wurde bei den Befreiungskämpfen komplett zerstört. Besonders tragisch ist es um al-Hadba, das bucklige Minarett, das lange Zeit Mosuls Wahrzeichen war. 2014 konnte eine Menschenkette es noch vor einer Sprengung durch den IS bewahren.
Und trotzdem: das Leben kämpft sich zurück. Der Basar ist in Eigenregie der Händler schon wieder aufgebaut und es sind unzählige Menschen auf den Straßen unterwegs. Jeder versucht, irgendetwas zu verkaufen. Dabei werden die Chinafakes immer besser. Abibas, Adidos, Nake usw. habe ich im Gegensatz zu 2019 nicht mehr gesehen, da nimmt man mittlerweile die richtigen Namen.
Die Menschen sind sehr neugierig, aufgeschlossen und freundlich. Wir haben an keiner Stelle Ablehnung erfahren. Nur einmal in den Ruinen der Altstadt hat ein alter Mann uns sein Leid geklagt, die die blöden Amerikaner ihm hier alles weggebombt haben.
Die Altstadt ist nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Es ist erschütternd die Zerstörung zu sehen und sich das Leid zu vergegenwärtigen, das hier zugefügt wurde. Noch sind nicht alle Häuser von Munition bereinigt und sicher zu betreten. Aber der Aufbau geht in kleinen Schritten los.
Im Basar.
Sowas sieht man oft. Das ist ja offensichtlich fake, aber es waren auch einige echte Saisonkennzeichen darunter.
Elektriker möchte ich hier nicht sein. Das ist Standard. Eigentlich hat man gar keine andere Wahl, als ein neues Kabel zu legen, weil doch keiner mehr weiß, wo was angeschlossen ist.
Unser Abendessen haben wir uns auf dem Fischmarkt organisiert. Es soll Masgouf geben, gegrillten Karpfen, ein irakisches Nationalgericht. Wir suchen einen frischen Fisch aus, schauen beim Schlachten weg und warten dann, bis er uns ins Hotel geliefert wird.
Das Hotel ist ganz schick. Modern und sauber. Allerdings ist man sich beim Namen nicht ganz sicher. Mal firmiert es als Plaza, mal als Palace. Aber das kommt bei vielen Wörtern im Irak vor. Duhok - Dohuk, Tikrit - Tikreet, ...
Gegen 6 kommt unser Fisch dann mit dem Taxi. Das Problem ist, bis Iftar ist er kalt. Das passiert uns aber regelmäßig. Ins Restaurant lieber spätestens 18.15 gehen. In der nächsten viertel Stunde wird es dann brechend voll. Aber sobald man am Tisch sitzt, wird alles schon aufgetafelt, viele kleine Vorspeisen, sowie auch die warmen Hauptspeisen. Und dann sitzt man davor und wartet…
Nach dem Essen sitzen wir dann noch eine Weile in der Lobby und unterhalten uns. Als Schichtwechsel an der Rezeption ist, lädt uns der neue Concierge ein, mit ihm zu Abend zu essen. Er spricht recht gut deutsch. Es stellt sich raus, er war zwei Jahre in Klagenfurt auf der Flucht vorm IS, wo ja auch eine Mitreisende herkommt, sowie einige Zeit in Gießen - auch hier hat sie gelebt. Die Welt ist so klein.

Also muss ich euch mal wieder mit in die weite Welt hinaus nehmen.
Und da 6.000 Bilder erst einmal aussortiert werden wollen, kommt alles ein wenig in Etappen.
Wohin geht es aber überhaupt?
Kurdistan!
Planung:
In den Irak habe ich euch ja schon 2019 einmal mitgenommen. Damals bin ich mit Einer Reisegruppe unterwegs gewesen. Leider ist der damalige Reiseleiter im vergangenen Jahr auf seiner letzten Iraktour verstorben. Er war mit 85 Jahren vermutlich einer der weltältesten Führer.

A tribute to Geoff Hann | Bradt Guides
Karen Dabrowska remembers fearless adventurer, close friend and co-author to Bradt's guide to Iraq, Geoff Hann.

Irak ist ja nun nicht das Land, das man als Individualreisender gleich auf dem Schirm hat. Aber die damaligen Erfahrungen haben mich doch etwas sicherer hier gemacht. Und da einige meiner damaligen Mitreisenden die gleiche Wellenlänge haben, wollten wir noch einmal losziehen. Durch die ursprünglichen Pläne (Syrien 2020) hat uns Corona einen Strich gemacht, aber nun haben wir einen neuen Anlauf genommen und uns selbst eine Tour zusammengestellt. Diesmal ohne bewaffnete Eskorte und nur als Grüppchen von vier Personen.
Die Organisation war ziemlich unkompliziert. Es gibt mittlerweile einige gute Reiseblogs, die den Irak abgrasen und bei Facebook eine sehr aktive Travellercommunity für den Irak. Da merkt man erstmal, wie viele Individualtouristen (auch Frauen, auch alleinreisende Frauen) in der Region unterwegs sind. Zusätzlich haben wir uns zwei lokale Guides über diese Kanäle organisiert, weil es den Transport etwas einfacher macht. Unkomplizierte und sehr engagierte Leute.
Theoretischerweise hätten wir das sicher auch ganz ohne Guide hinbekommen, aber es war schon sehr hilfreich, da viele Besuchspunkte nur schwer zugänglich waren. V.a. sind die Google-Koordinaten da auch nicht immer korrekt gesetzt, wenn überhaupt vorhanden.
Für die Finanzen empfiehlt sich schon noch das gute alte Bargeld. Es gibt zwar ab und zu auch ATMs, aber trotzdem zu selten, als dass ich mich darauf verlassen würde. Nur zwei Hotels konnte man mit Kreditkarte bezahlen. Allerdings fühlt es sich schon komisch an, mit 2.000€ im Rucksack durch die Basare zu tingeln. Wechseln war nirgends ein Problem. Man muss auch keinen Umweg über Dollar nehmen, Euro werden auch akzeptiert. Allerdings zum exakt gleichen Kurs, wodurch er etwas schlechter wegkommt.
Aber jetzt zum eigentlichen Geschehen:
Freitag, 31.03.2023 und Samstag, 01.04.2023
Heute werden Überstunden abgebaut und während meine Klasse noch fleißig (oder wohl eher nicht) in der Schule sitzt, fahre ich los. Ein wenig habe ich im Vorfeld schon gezittert, dass der Streik mir einen Strich durch die Rechnung macht, aber der war ja glücklicherweise schon Anfang der Woche abgehandelt. Zum Kostensparen fliege ich diesmal nicht ab Berlin, sondern Hannover. Mit der Bahn geht’s dorthin, mit kurzem Zwischenstopp in Magdeburg. Einmal zum Dom gehetzt und dann zurück zum Zug. Zum Glück gabs noch keinen Ferienansturm am Flughafen, so ging es dort recht zackig weiter bis Istanbul.

Zwischenstopp in Magdeburg

Der Flughafen Istanbul ist groß, modern ... und nicht vor jeder Technikpanne gefeit :smiley_grinsen:
Hier am IST treffe ich dann des Nachtens am Gate eine Freundin, die aus Klagenfurt anreist und mich nun bis Bagdad begleitet. Seit neuestem gibt es für EU-Bürger Visa on Arrival, das macht es schön unkompliziert. Zwar braucht die Bürokratie trotzdem eine Stunde, um den Zettel in den Pass zu kleben, aber was solls. Vom Flughafen aus geht’s dann mit dem Taxi zum Hotel, mit booking.com vorgebucht. Early Check in 06:00 früh ist ohne Aufpreis möglich und sogar ein Frühstück wird noch aufs Zimmer serviert.
Danach treffen wir die anderen beiden unserer Gruppe. An dieser Stelle ein kurzer Überblick über uns: 1x Deutschland, 1x Österreich (M), 2x Großbritannien (C&J). Wer jetzt denkt, Irak ist was für junge aktive, der liegt sehr falsch. Ich bin das Küken in der Gruppe. AT ist 67, UK ist 80 und Mitte 70er. Aber sowas von abenteuerlustig, das passt zu meinem Reisetempo.
Am Hotel nimmt uns nun Ibraheem, unser erster Guide in Empfang. C&J sind schon zwei Tage länger hier und haben sich rumkutschieren lassen, gemeinsam bummeln wir heute aber noch einmal durch die Stadt. Das meiste haben wir ja schon 2019 gesehen, daher erspare ich euch die Berichte und Bilder dazu, das lässt sich ja im alten Bericht nachlesen .
Was allerdings neu hinzukommt, ist die Grüne Zone! Darauf habe ich mich besonders gefreut. Die Grüne Zone ist das Regierungs- und Botschaftsviertel. Seit der US-Invasion war sie für die Öffentlichkeit gesperrt, erst seit Januar 2023 darf man wieder durch fahren. Hier befindet sich das Aufmarsch- und Paradegelände von Saddam Hussein, die riesigen Schwerter von Qadisiyah und das Grabmal des unbekannten Soldaten. Zwar war auch jetzt das Anhalten ohne vorherige Genehmigung von irgendeinem Amt nicht erlaubt, aber immerhin konnte man den ein oder anderen Blick erhaschen.

Bagdad. Grüne Zone. Grab des unbekannten Soldaten. Die Ausmaße der Anlage lassen sich aus der Perspektive nur erahnen. Die Kuppel ist knapp 42m groß.

Schwerter von Qadisiyah. Die Hände bilden jene Saddam Husseins nach, sogar die Fingerabdrücke sollen stimmen. Der Triumphbogen nimmt Bezug auf die Schlacht, bei der die muslimischen Araber im Jahr 636 die Perser besiegten und ist symbolischerweise während des Irak-Iran-Krieges in den 1980ern errichtet worden.
Stopp Nummer zwei ist die Abu-Hanifa-Moschee. Abu Hanifa war ein Rechtsgelehrter und sein Schrein ist die wichtigste sunnitische Moschee Bagdads. Wir beschränken uns aber heute auf einen Blick von außen, da wir dachten, dass bestimmt noch ausreichend Moscheebesuche vor uns liegen. Erstaunlicherweise war dies aber nicht der Fall.

Abu Hanifa Moschee

Stattdessen haben wir viele, viele Kirchen besucht, angefangen mit der St George's Anglican Church. Das ist ein recht schlichter Ziegelbau, wegen dem wir aber gar nicht hier waren. Wir waren auf der Suche nach dem Grab des Reiseleiters. Dazu gab es unterschiedliche Angaben. Diese Kirche stellte sich aber als falsch raus. Fündig wurden wir auf dem Episcopal Anglican Cemetery. Die Grabstätte macht aber einen sehr traurigen Eindruck: eine unmarkierte Grube in einer Ecke. Der Friedhofswärter, dessen Familie sich schon seit Generationen um den Friedhof kümmert, konnte sie uns zeigen. Allerdings liegt er in erlauchter Nachbarschaft: gleich gegenüber ruht Gertrude Bell, Forschungsreisende, Abenteurerin und Archäologin. Ich glaube im Grunde hat er die Ruhestätte gefunden, die er sich auch gewünscht hätte.

Die Grube links neben dem Häuschen ist das Grab.

Gleich gegenüber das Grab von Gertrude Bell.
Wir schlendern noch ein bisschen über den Basar und fahren an viel Street Art vorbei, bevor wir uns zum nächsten Handyshop begeben: SIM-Karten werden benötigt. Das war eine Prozedur. Die Karte wird in einem Laden gekauft. Allerdings ist sie nicht perforiert, also muss man zu einem zweiten Laden gehen, der sie in die richtige Größe schneidet.

Trüffel

In der Mutanabbi-Straße, die Buchhändlerstraße und über Jahrhunderte das geistige Zentrum des Iraks. Besonders die Reihe mit Churchill, Rommel, Machiavelli, Hitler, Che Guevara und Plato ist schon eine ausgesuchte Zusammenstellung.


Es gibt noch einige sehr schöne alte Fassaden im Zentrum, aber es wird leider sehr wenig gepflegt.

In der Unterführung am Tahrirplatz gibt es viel Street-art. Da es sehr regierungskritisch ist, wird es nicht gern gesehen, wenn Touristen vorbei flanieren... Wir fahren deshalb. Auch, weil es einfach keine Parkplätze gibt.

Sheherazade erzählt Sharirar ihre Märchen.

Es wird leider sehr wenig Wert auf eine gepflegte Umgebung gelegt.
So langsam rückt nun auch der Abend näher, also begeben wir uns auf die Suche nach einem Restaurant… hier sitzen wir nun auch am Tisch und warten auf Iftar. Schließlich ist ja Ramadan. Doch kaum ruft der Muezzin, geht das große Fressen los. Und der Begriff ist nicht untertrieben. Angespanntes Warten bis 18.28 Uhr, dann beginnt man mit einer Dattel. Und nach nicht mal einer Stunde ist das ganze Spektakel schon vorbei.
Zu 95% sitzen natürlich die Männer im Restaurant. Frauen scheinen größtenteils zu Hause zu bleiben.

Nach dem Fastenbrechen ist vor dem Fastenbrechen

Also was den Ramadan angeht, war es kein sehr anstrengendes Reisen. Wir haben auch tagsüber zu Essen bekommen, wenn wir wollten. Restaurants und Teehäuser sind dann nur mit großen Tüchern verhangen, damit man nicht reinschauen kann. Da kommen später noch Bilder.
Der erste Guide, Ibraheem, hat sich auch ans Fasten gehalten. Der nächste hat es dann davon abhängig gemacht, was auf dem Tagesplan stand. Aber wenn ein Fastentag ausgelassen wird, muss man den hinterher nachholen, habe ich gelernt.
Aber springen wir wieder zur Reise:
Sonntag, 02.04.2023
Heute steht die längste Etappe der Tour bevor, dementsprechend zeitig brechen wir auf. Das morgendliche Bagdad ist erstaunlich leer, kaum Autos auf den Straßen. Das ändert sich dann, je höher die Sonne steht.
Bis Samarra fahren wir auf bekannten Wegen. Aber heute soll es ja noch weiter gehen. Der Highway ist schlecht. Viele Schlaglöcher, Spurrinnen und Verkehr, der einem links und rechts entgegenkommt. Die Landschaft ist erst sehr grün, wird dann aber schnell wüstenähnlich, dennoch stehen immer wieder große Regenpfützen am Straßenrand. Auch an Checkpoints müssen wir ab und zu anhalten. Der Pass wird kontrolliert, aber Probleme haben wir nirgends.

Bagdad


Wir fahren an Al-Awja vorbei. Das Dorf ist der Geburtsort Saddam Husseins. Auch wenn er ein Diktator war, sehnen sich viele nach seiner Zeit zurück. Aber einfach auch aus dem Grund, dass das Chaos, was danach kam - US-Invasion, Unruhen, Islamischer Staat - in den Augen Vieler noch viel schlimmer war.

Samarra sehen wir nur aus der Ferne. Aber 2019 haben wir die Malwiya ja schon bestiegen.

Gegen Mittag biegen wir dann von der Hauptstraße ab und verabschieden uns in die Wüste. Das heutige Highlight: Hatra. Die Stadt wurde knapp 300 Jahre v.Chr. gegründet und 241 n.Chr. aufgegeben. Für mich wirkt es fast wie ein Gegenstück zu Palmyra in Syrien. Als Kleinkönigreich der Parther war Hatra einer der bedeutendsten Fundorte aus jener Zeit.
Der IS hat hier ziemlich gewütet. Der Figurenschmuck und die Reliefs wurden heruntergeschlagen und die Ruinen für Schießübungen genutzt. Glücklicherweise wurde nicht alles planiert, so wie es andernorts leider geschehen ist.
Touristen kommen erst seit kurzem wieder aufs Gelände. Und unser Fahrer Ibraheem hatte die Karten vorab schon extra aus Mosul geholt, bevor er uns in Bagdad getroffen hat. Immerhin knapp 5 h pro Strecke. Guter Mann

Wie in Babylon hat auch hier Saddam Hussein umfangreiche Restaurierungen vornehmen lassen, inklusive der mit seinem Monogramm geschmückten Ziegel. Ein Baukran aus dieser Zeit steht seit Anfang der 1990er noch auf dem Gelände.

Willkommen in Hatra!



Die Schrift ist aramäisch. Auch wenn dieses Beispiel alt ist, wird es auch heute noch gesprochen und geschrieben, hauptsächlich von den im Land verbliebenen Christen.

Der IS hat Hatra als Truppenübungsplatz missbraucht.
Nach den antiken Ruinen erreichen wir nun unser Tagesziel: Mosul. Uns war schon bewusst, was uns in der ehemaligen Hauptstadt des islamischen Kalifats erwartete, aber trotzdem können einen die Bilder und Blogs nicht wirklich darauf vorbereiten, wenn man tatsächlich inmitten der Ruinen steht.

Mosul war ursprünglich ein Schmelztiegel: Muslime, Juden und Christen lebten hier. Insbesondere für letztere war die Stadt ein wichtiges Zentrum, wovon noch viele Kirchen zeugen. 2014 eroberte der IS die Stadt, vertrieb einen Teil der Bevölkerung und zwang den Rest zur Konversion unter der Androhung der Hinrichtung. Es herrschte ein Terrorregime, bis kurdische Milizen Mosul 2017 zurückeroberten. In den Kämpfen wurde insbesondere die Altstadt schwerst beschädigt.


Das alte Mosul muss eine schöne Stadt gewesen sein.


Die Ruinen sind zudem gekennzeichnet. Liegt ein weißer Stein in der Tür, wurde sie schon beräumt, ein roter Stein zeigt an, dass sich noch Minen oder Munition darin befinden könnten.

Al Nuri Moschee. Hier hielt der Anführer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, am 4. Juli 2014 in seinem einzigen öffentlichen Auftritt eine Freitagspredigt (Chutba), nachdem er am 29. Juni 2014 vom Sprecher des IS, Abu Mohammad al-Adnani, zum „Kalifen“ erklärt worden war. Die Moschee wurde bei den Befreiungskämpfen komplett zerstört. Besonders tragisch ist es um al-Hadba, das bucklige Minarett, das lange Zeit Mosuls Wahrzeichen war. 2014 konnte eine Menschenkette es noch vor einer Sprengung durch den IS bewahren.

Und trotzdem: das Leben kämpft sich zurück. Der Basar ist in Eigenregie der Händler schon wieder aufgebaut und es sind unzählige Menschen auf den Straßen unterwegs. Jeder versucht, irgendetwas zu verkaufen. Dabei werden die Chinafakes immer besser. Abibas, Adidos, Nake usw. habe ich im Gegensatz zu 2019 nicht mehr gesehen, da nimmt man mittlerweile die richtigen Namen.
Die Menschen sind sehr neugierig, aufgeschlossen und freundlich. Wir haben an keiner Stelle Ablehnung erfahren. Nur einmal in den Ruinen der Altstadt hat ein alter Mann uns sein Leid geklagt, die die blöden Amerikaner ihm hier alles weggebombt haben.
Die Altstadt ist nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Es ist erschütternd die Zerstörung zu sehen und sich das Leid zu vergegenwärtigen, das hier zugefügt wurde. Noch sind nicht alle Häuser von Munition bereinigt und sicher zu betreten. Aber der Aufbau geht in kleinen Schritten los.

Im Basar.

Sowas sieht man oft. Das ist ja offensichtlich fake, aber es waren auch einige echte Saisonkennzeichen darunter.

Elektriker möchte ich hier nicht sein. Das ist Standard. Eigentlich hat man gar keine andere Wahl, als ein neues Kabel zu legen, weil doch keiner mehr weiß, wo was angeschlossen ist.

Unser Abendessen haben wir uns auf dem Fischmarkt organisiert. Es soll Masgouf geben, gegrillten Karpfen, ein irakisches Nationalgericht. Wir suchen einen frischen Fisch aus, schauen beim Schlachten weg und warten dann, bis er uns ins Hotel geliefert wird.
Das Hotel ist ganz schick. Modern und sauber. Allerdings ist man sich beim Namen nicht ganz sicher. Mal firmiert es als Plaza, mal als Palace. Aber das kommt bei vielen Wörtern im Irak vor. Duhok - Dohuk, Tikrit - Tikreet, ...

Gegen 6 kommt unser Fisch dann mit dem Taxi. Das Problem ist, bis Iftar ist er kalt. Das passiert uns aber regelmäßig. Ins Restaurant lieber spätestens 18.15 gehen. In der nächsten viertel Stunde wird es dann brechend voll. Aber sobald man am Tisch sitzt, wird alles schon aufgetafelt, viele kleine Vorspeisen, sowie auch die warmen Hauptspeisen. Und dann sitzt man davor und wartet…
Nach dem Essen sitzen wir dann noch eine Weile in der Lobby und unterhalten uns. Als Schichtwechsel an der Rezeption ist, lädt uns der neue Concierge ein, mit ihm zu Abend zu essen. Er spricht recht gut deutsch. Es stellt sich raus, er war zwei Jahre in Klagenfurt auf der Flucht vorm IS, wo ja auch eine Mitreisende herkommt, sowie einige Zeit in Gießen - auch hier hat sie gelebt. Die Welt ist so klein.