Ein Pilgertoken aus den Toten Städten

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Im Nordwesten Syriens, nahe der türkischen Grenze, liegen die so genannten Toten Städte, eine Gruppe spätantiker Siedlungen, die im Anschluss an die islamische Eroberung der Region nach und nach aufgegeben wurden. Nur Ruinen zeugen noch von ihrer Existenz. Bis ins siebte Jahrhundert hinein war die Gegend aber ziemlich belebt, unter anderem auch, weil sich hier ein beliebtes Ziel für Pilgerfahrten befand: Qal'at Sim'an, der Wirkungsort Symeons des Styliten (389-459), des wohl berühmtesten aller Säulenheiligen. Im heutigen Sprachgebrauch ist der Begriff des Säulenheiligen negativ konnotiert; meist meint man damit jemanden, dem völlig unverdientermaßen besondere Autorität zugeschrieben wird. Die spätantiken Säulenheiligen hatten sich ihr Ansehen dagegen hart erarbeitet, wenn auch auf eine Art und Weise, die heutigen Menschen äußerst befremdlich erscheint. Das syrische Mönchtum jener Zeit neigte allgemein zu besonders strenger Askese; Leute wie Symeon trieben es dann im wahrsten Sine des Wortes auf die Spitze. Nachdem er verschiedene Methoden radikaler Askese (40tägiges Fasten, Selbstfesselung mit einer Eisenkette, Leben in einer trockenen Zisterne ...) durchprobiert hatte, entscheid er sich schließlich für das Leben auf einer Säule. Der Zeitgenosse, Bischof und Kirchengeschichtsschreiber Theodoret von Kyrrhos erzählt in seiner Mönchsgeschichte, diese sei zunächst nur sechs Ellen (~ 3 Meter) hoch gewesen, später dann auf 12, dann 22 und letzlich 36 Ellen (~ 18 Meter) erhöht worden. "Denn er wünscht zum Himmel aufzufliegen und von diesem irdischen Getriebe sich zu lösen", so Theodoret. Auf der Spitze der Säule lebte Symeon jahrzehntelang auf etwa zwei Quadratmetern, wobei er die meiste Zeit stehend im Gebet verbrachte, aber auch immer wieder mal Besucher mit Ratschlägen oder Segen bedachte und sogar Heilungen bewirkt haben soll. Sein Ruhm verbreitete sich rasch und soll nach Theodoret Pilger und Schaulustige nicht nur aus der Region, sondern selbst Briten, Gallier und Perser angezogen haben; nach einer anderen Quelle soll der oströmische Kaiser Theodosius II. selbst zu Symeon hinaufgestiegen sein, um dessen Rat einzuholen.
Der Zustrom der Pilger hielt auch nach Symeons Tod an, und wie heutige Pilger oder auch säkulare Wanderer ihre Anstecknadel, einen Stempel oder sonstwas als Nachweis ihrer Mühen suchen, wollte man auch damals schon gerne einen Beleg für die Anwesenheit an diesem heiligen Ort. Dafür wurden Pilgertoken verschiedener Art und Größe angefertigt, von denen ich eines aus dem sechsten oder siebten Jahrhundert nun meiner Sammlung hinzufügen konnte: Auf 22 mm Terracotta sieht man Symeon auf seiner Säule, an der für die menschlichen Besucher eine Leiter lehnt. Nicht benötigt wird diese von den beiden fliegenden Engeln, die dem Heiligen Siegeskränze für die Überwindung der weltlichen Versuchungen überreichen. Der Gegenstand links unten stellt wahrscheinlich ein Räuchergefäß dar - was zumindest mich an die Frage erinnert, wie man eigentlich als total öffentlich lebender, von allen Seiten sichtbarer Profiasket auf zwei Quadratmetern mit gewissen körperlichen Notwendigkeiten umgegangen sein mag ...
Die Rückseite des Tokens ist konvex und lediglich mit Andeutungen des Fingerabdrucks des Herstellers "verziert". Welche Produktionsweise diese seltsame Halbkugelform hervorbringt, ist mir nicht bekannt.
 

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Herzlichen Dank für diese interessante historische Hintergrundinformation zur dargestellten Münze, Jens, und Glückwunsch zum Erwerb - super!
 
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