Oh Algerien, du unbekanntes Land...

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Prolog
Eigentlich beginnt die Geschichte ja schon viele Wochen im Voraus: nämlich zum einen mit der Idee eine Reise zu unternehmen und zum anderen mit dem Verbot, die kompletten Ferien zu Hause zu verbringen. Ein Flug war schnell gebucht, das Ziel ein gänzlich unbekanntes Land – Algerien. Doch ebenso schnell zeigte sich, was alles zu organisieren war: ein Zweitpass wegen meines israelischen Stempels aus Akhzivland, ein internationaler Führerschein, eine Arbeitsbescheinigung fürs Visum – und nicht zuletzt das Visum selbst. Dieses bescherte noch einen besonderen Nervenkitzel. Drei Tage vor Abflug wusste ich noch immer nicht, ob es ausgestellt werden würde.

Und dann kamen die widersprüchlichen Informationen, ob man für Überlandfahrten eine Eskorte braucht oder nicht, welche Landesteile überhaupt bereist werden dürfen… Ob das so eine gute Idee war, dieses Reiseziel zu wählen?!


Montag, 10. Juli 2017
Zwar war mit dem Visabeschaffungsdienst die Abholung des Reisepasses am Flughafen vereinbart, aber der letzte Rest Unsicherheit blieb, als ich im strömenden Regen im ICE nach Frankfurt saß. Doch ich konnte aufatmen. Kurz vor zwei hob der Flieger gen Portugal mit leichter Verspätung ab. Das hatte zur Folge, dass es in Lissabon stressig wurde. Die Schlange an der Transitkontrolle war lang, doch meinen Anschluss habe ich bekommen. An Bord wurde ich von einer netten Stewardess rundum versorgt. Als einziger Gast der Business-Class hatte ich sie quasi für mich allein und so vergingen die zwei Stunden überm Mittelmeer wie im Fluge.

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Über Lissabon

Man könnte jetzt sagen, die Vibrationen der Landung waren Schuld, doch ich bevorzuge die emotionalere Variante: es war ein besonderes Gefühl, als die Embraer auf die Landebahn in Algier aufsetzte. Allein das Wissen, einen komplett weißen Fleck auf der persönlichen Landkarte nun mit Farbe zu füllen, verursachte ein Kribbeln – zumal Algerien Touristen das Reisen nicht gerade leicht macht.

Zumindest trifft dies auf die Vorbereitung zu. Im Land selbst lief alles problemlos, was sich schon bei der unkomplizierten Einreise zeigte. Allerdings bin ich mit einem Touristenfehler gestartet. In der Ankunftshalle ließ ich mich ansprechen: Change? Taxi? … Ich willigte ein, tauschte und ließ mich chauffieren. Hamza – so der Name des Mannes – nutzte dies gleich für eine kleine Tour, bei der er sicher ein gutes Geschäft gemacht hat.

Dienstag, 11. Juli 2017
Den Vormittag verbrachte ich in Algier. Zu Fuß erkundete ich die Stadt, die steilere Straßen als ichs aus meiner Heimat, dem Erzgebirge, kenne, aufzuweisen hatte. Damit hatte ich nicht gerechnet. In Verbindung mit der sehr feuchten Hitze von 35°C war das ein Kraftakt. Ich hatte das Gefühl, dass sich eine kleine Salzkruste auf der Haut bildet. Ca. 16 km wanderte ich zwischen beeindruckenden französischen Fassaden, denen man die koloniale Vergangenheit ansah, sowie durch die engen, dreckigen Gassen der Kasbah. Es soll wohl auch einige versteckte Villen geben. Leider waren sie wirklich sehr gut versteckt. Nur das Palais des Raïs fand ich und konnte einen Blick in das alte Algier werfen.


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steile Straßen in Algier

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Palais des Rais, Algier

Vom Hotel aus ging es wieder mit dem Taxi zum Flughafen – diesmal zum Aéroport national. Mit einer Propellermaschine sollte es weiter in den Süden gehen. Doch im Flugzeug bekam ich einen Schreck: da saß jemand auf meinem Platz und wollte sich partout nicht zum Freigeben des Sitzes bewegen lassen. Mir schwante schon schlimmes, Geschichten von überbuchten Flugzeugen im Hinterkopf – doch der Stewart klärte auf: free seeting. So wurde es nun zwar leider nichts mit dem Fensterplatz, aber der Weiterreise stand nichts im Wege. Allerdings wäre es ohnehin sehr diesig gewesen. Die Landung in Ghardaia war holprig, das Wetter aber nach der hohen Luftfeuchte des Vormittags angenehm trocken. Auch wenn es 21:00 Uhr noch immer ca. 34°C waren, war es nicht unangenehm. Der andere Kulturkreis wurde mir schlagartig bewusst, als eine Gruppe dicker, schwarzer Frauen von einer anderen Gruppe dicker, schwarzer Frauen mit lautem Freudengeschrei begrüßt wurde und erstere mit ebensolchem Gesang antwortete.

Nach kurzem Warten holte mich Hamid, mein Führer, ab. Allerdings ließ man uns nicht ohne weiteres fahren – ich erhielt für die zwanzigminütige Fahrt vom Flughafen nach Beni Isguen eine Eskorte. Uns fuhr ein Jeep mit vier maschinengewehrbewaffneten Soldaten voraus. Dies wäre wohl eine Vorsichtsmaßnahme für westliche Touristen, da es vor einiger Zeit Entführungen gegeben haben soll. Unsicher habe ich mich aber nicht gefühlt und vor Ort waren dann auch keine weiteren Eskorten nötig. Nach kleinem Abendessen bei Hamid war ich froh, in mein Hotelbett zu fallen.

Mittwoch, 12. Juli 2017
Es war äußerst schwierig für die Pentapolis Rund um Ghardaia einen Führer zu bekommen. Dass mitten im Juli wo andernorts die Strände aus allen Nähten platzen hier am Rande der Wüste die Saison eigentlich vorbei ist, mag dazu beigetragen haben, ebenso wie religiöse Unruhen zwischen den Arabern und den Mozabiten, strenggläubig muslimische Berber, die wohl im vergangenen Jahr hier im M’Zab ausgebrochen waren. Letzteres machte sich noch in der starken Polizeipräsenz vor Ort bemerkbar. Aber ich habe nirgends Konflikte wahrgenommen.

Zum Glück bin ich über Facebook auf Hamid gestoßen, der mir eine private Tour organisiert hat. So haben wir am Vormittag den Souk von Ghardaia besucht, Kekse gegessen und das Panorama über das M’Zab genossen. Wobei das mit dem genießen so eine Sache ist – mittlerweile sind die Temperaturen auf über 40°C gestiegen. Da war es ganz angenehm, dass das Hotel einen Pool hat, welchen ich über die Mittagszeit ausgiebig nutzte. Noch angenehmer war, dass ich ihn für mich allein hatte, da außer mir höchstens ein bis zwei weitere Gäste im Hotel wohnten.

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Ghardaia

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Gegen 17:00 Uhr ging es nach Beni Isguen, der heiligsten der Mozabiten-Städte. Diese Stadt darf man nur mit zusätzlichem Führer betreten, darf keine Menschen fotografieren und muss sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder verlassen. Die fast menschenleeren Gassen haben eine herrliche Ruhe ausgestrahlt. Vom Wachtturm am Gipfel der Bergstadt hatte man ein tolles Panorama über die Oase mit ihren über 50.000 Dattelpalmen. Man mag nun denken, die Bewohner einer so strenggläubigen heiligen Stadt wären sehr einfache Menschen, doch dem ist nicht so. Beni Isguen gilt als Stadt der Gelehrten und nahezu jeder Einwohner soll einen Hochschulabschluss haben.

Nach kurzer Fahrt durch die Oase und das ausgetrocknete Flussbett gab es kurz vor 22:00 Abendessen im Hotel.

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Donnerstag, 13. Juli 2017
Heute lernte ich, was heiß heißt. War es in der Nacht nicht kälter als 32°C, sollten die Temperaturen im Laufe des Tages noch auf 46°C steigen. Das reichte für einen kleinen Hitzestich mit allen seinen Folgen. Aber der kam erst am Abend.

Vormittags ging es noch einmal in den Souk von Ghardaia, wo Hamid fürs Mittagessen einkaufte. Wir fuhren in die Palmeraie, den Palmenhain, zu einem Bekannten von einem Bekannten von Hamid. Mir ist in diesen Tagen viel Gastfreundschaft begegnet – nicht etwa, weil ich ein deutscher Tourist wäre, sondern, so mein Eindruck, weil es einfach dazu gehört. Zuerst wurde unter Palmen gegrillt – es gab Kamel – und viel Tee getrunken, was regelrecht zelebriert wurde. Ich bekam außerdem eine Führung durch den kleinen Bauernhof. Dies wiederholte sich, als wir zum Haus des Bekannten vom Bekannten fuhren und noch eine Weile saßen und uns unterhielten.

Am späten Nachmittag ging es vorbei an El Atteuf zum Zoo des „Schlangenfängers“, wo Tiere der Region zu sehen waren, wie etwa Fennek, Schakal und Makaken. Ein zweiter Zoo direkt in El Atteuf konnte sogar noch mit Tigern und Löwen aufwarten. Allerdings waren die Käfige alles andere als schön. Der Gestank tat nun sein Übriges, damit mich der Hitzestich so richtig erwischte.

Dementsprechend verzichtete ich auch aufs Abendessen, als ich gegen 21:00 Uhr ins Hotel zurückkehrte. In der Nacht pendelte ich zwischen Bett und Bad und legte mir insgeheim schon einen Plan zurecht, den Urlaub zu verkürzen und auf die Fahrt Richtung Batna zu verzichten, da der Wetterbericht dort ähnliches Wetter erahnen ließ.

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Freitag, 14. Juli 2017
Heute ging es zeitig los. Schon halb acht stand Hamid – diesmal mit einem Cousin – vor der Tür, um mir die Freitagsmärkte zu zeigen. Diese Märkte finden nur vor dem Freitagsgebet statt und sind ziemlich gut besucht. Es war anstrengend, da ich zum einen nur wenig erholt war und, nachdem die Wolkendecke aufriss, die Sonne stechend heiß schien.

Insgeheim war ich froh, ab 10:00 in der klimatisierten Abflughalle des Flughafens zu sitzen. Nun wusste ich es besser mit der Platzierung und schnappte mir gleich einen Fensterplatz. Doch zu sehen gab es nur wenig – sowohl beim Start, wie auch bei der Landung in Oran. Hier wartete ich nun auf Yassine, Hamids Cousin, welchen dieser für mich als Führer organisiert hatte. Ursprünglich hätte ich Oran auf eigene Faust erkundet, doch zum einen konnte ich das Angebot schlecht abschlagen und zum anderen war es schön auf so viel Gastfreundschaft zu stoßen. Yassine wurde von Hadj Ali begleitet – ich weiß nicht, ob es nur ein Freund oder wieder ein Cousin war. Zuerst fuhren wir zu Hadj Alis Wohnung, wo es leckeren Couscous gab und anschließend zum Fort von Santa Cruz, welches weit oberhalb der Stadt thronte. Man hatte einen wunderbaren Blick über die Stadt. Wie schon an den bisherigen Tagen habe ich auch hier noch keine westlichen Touristen gesehen.

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Fort von Santa Cruz

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Samstag, 15. Juli 2017
24°C sind geradezu kühle Temperaturen, wenn ich an die vergangenen Tage zurück denke, aber sie machten die Besichtigungstouren heute angenehmer. Das erste Ziel war die Qasr el-Bey, ein sehenswerter Palast, der vor sich hin bröckelt, aber gerade auch dadurch einen gewissen Charme hat. Danach ging es mit einer kleinen Rundfahrt am größten Militärhafen Nordafrikas vorbei über die Berge zurück ins Zentrum von Oran, wo ich mir den Bahnhof anschaute. Das Gebäude war einer marokkanischen Moschee nachempfunden und kann in Pracht durchaus mit einem Moskauer Bahnhof mithalten. Der Souk war allerdings recht alltäglich und erschien mir in Ghardaia lebhafter.

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Qasr el-Bey, Oran
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Hauptbahnhof Oran

Nach zwei Stunden Pause im Hotel fuhren wir in ein Einkaufszentrum. Auch dies war durchaus interessant, stand mir doch der Mund offen, als ich sah, wie teuer ein Sack Safran hier war: 100 Gramm für 6.000 Dinar (ca. 45€). Zahle ich doch für ein halbes Gramm Safran in Deutschland schon 4,50€. Ärgerlicherweise habe ich nichts gekauft, da ich dachte, ich hätte später bestimmt noch eine Gelegenheit. Dem war leider nicht so.

Fürs Abendessen fuhren wir an mehrere Restaurants. Yassine war bestrebt, das Beste für mich heraus zu suchen. Dies fanden wir schließlich im „Le Corsair“. Es gab eine gute Fischsuppe, sowie gegrillten Schwertfisch. Ich wollte Yassine und Hadj Ali einladen, doch diese bestanden darauf, mich einzuladen, da ich ja der Gast war.

Sonntag, 16. Juli 2017
Bei sonnigen 26°C ging es heute Morgen wieder zum Bahnhof, um das Zugticket zu kaufen. Yassine bestand darauf, das Ticket erster Klasse für mich zu bezahlen. Danach fuhren wir noch ein wenig durch die Stadt, sahen Ratten, die Camus‘ Pest verschlafen hatten, führten noch angeregte Gespräche über Religion und darüber, was einen guten Menschen ausmacht. Gegen 12:00 Uhr saß ich schließlich im weichen Polster eines abgewrackten Ersteklassewagens der algerischen Staatsbahn und ließ schon eine halbe Stunde später die abwechslungsreiche nordalgerische Landschaft am Fenster vorüber ziehen. Es ging erst durch Ebenen, bevor der Zug ins Gebirge aufstieg und schließlich vor Algier durch grüne Felder fuhr, vorbei an vielen Gewächshäusern und Obstplantagen. Mehrmals liefen Tee-, Wasser- und Eisverkäufer durch die Waggons. Kurz vor der Ankuft am Gare de l’Agha, dem zweiten großen Bahnhof Algiers, schenkte mir ein Junge, der mit vermutlich Mutter und Tante unterwegs war, mehrere Waffeln – auch hier im Zug zog ich das Interesse der Leute auf mich, da ich nach wie vor der einzige offensichtlich westliche Reisende war.

Mit deutscher Pünktlichkeit kam ich 20 Minuten zu spät an. Zu Fuß ging es auf Hotelsuche. Doch so gut sich Google Maps bei dieser Reise bisher bewährt hat, so hat sich doch gezeigt, dass die Schwachstelle dort liegt, wo eine Adresse falsch in der Karte vermerkt ist. Ich musste wesentlich weiter laufen als gedacht, fand das Hotel aber noch. Nachdem ich mich meines Gepäcks entledigt hatte, machte ich mich noch einmal auf den Weg und bestieg einen Berg, um zum Monument des Martyrs zu gelangen, welches in Form von drei 90 Meter hohen Palmenblättern über der Stadt thront. Ich erreichte es gerade im richtigen Moment, als der Sonnenuntergang den Koloss in sein goldenes Licht tauchte.

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Märtyrer-Monument, Algier

Montag, 17. Juli 2017
Heute Morgen bereitete ich einem Taxifahrer eine Freude – ich ließ das Hotel dank Visitenkarte jenen Fahrer anrufen, der mich schon vor sechs Tagen zum Flughafen brachte. Diesmal lieferte er mich aber nicht am Aéroport national ab, sondern an der Rapidecar-Mietwagenstation. Über eine relativ gute Autobahn ging es mit gemütlichen 100-120 km/h durchs Gebirge gen Osten. Jegliche Zweifel über meinen weiteren Streckenverlauf, wie sie mich noch hitzestichgeplagt in Ghardaia beschlichen hatten, waren dank Klimaanlage wie weggeblasen. Von den 35°C auf der anderen Seite der Scheibe bekam ich nur wenig mit.

Am frühen Nachmittag erreichte ich Constantine, hatte aber ein wenig mit dem maghrebinischen Stadtverkehr zu kämpfen. Man muss seine Augen überall haben, um die Autos, die aus allen Richtungen kommen nicht zu übersehen. Ich bin einigermaßen erstaunt, dass ich mein Auto beulenfrei wieder abgeben konnte.

Constantine ist eine beeindruckende Stadt. Das Zentrum ist nicht sonderlich groß, aber allein die Lage auf einem Plateau mit tiefen Schluchten und waghalsigen Brücken ist atemberaubend. Abendessen gab es im Restaurant „Igherssan“, welches wie ein Schwalbennest überm Abgrund klebte. Auch wenn ich den Eindruck hatte, der einzige Gast zu sein, war das Essen sehr gut. Der Rückweg zum Hotel führte mich über illuminierte Brücken und dunkle Straßen. Es waren noch viele Menschen draußen unterwegs.

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Constantine

Dienstag, 18. Juli 2017
Bevor es weiter gen Süden ging, musste ich tanken. Das ist in Algerien eine wahre Freude: 25 Cent für einen Liter Benzin. Gegen Mittag erreichte ich das numidische Mausoleum von Medracen. Das Gelände war zwar abgesperrt und niemand war da, um Einlass zu gewähren, aber auch über den Zaun beeindruckten die Ausmaße des 2300 Jahre alten Bauwerkes. Ein wenig jünger ist die Stadt Thamugadi, das heutige Timgad. Kaiser Trajan ließ die Stadt in der römischen Provinz Numidien als Militärkolonie errichten. Die Ruinen weckten in mir Erinnerungen an Palmyra. Theater, Säulen, Triumphbogen – alles mit menschenleerer Einöde im Hintergrund. Die erste halbe Stunde erkundete ich Timgad allein, doch am Theater bot sich dann ein Museumsführer als Hilfe an. Er hatte viel zu erzählen und zeigte mir unter anderem die verschiedenen Märkte der Stadt, die Latrinen und das Capitol mit seinen gewaltigen Säulenresten.

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Timgad

Halb fünf erreichte ich Batna, eine mittelgroße Provinzhauptstadt, die von den Franzosen gegründet worden war. Das Hotel Guettafi habe ich problemlos gefunden. Mit meinem Hinweis auf die telefonische Reservierung konnte man zwar nichts anfangen, aber es gab ausreichend Zimmer. Der Standard war bis dahin der einfachste der Reise, so wie ich ihn eher aus Ostanatolien kenne. Den Abend verbrachte ich mit einem Spaziergang durch die moderne Stadt, die außer sauberen Straßen nicht viel zu bieten hat.

Mittwoch, 19. Juli 2017
Bisher hatte ich einen sehr kargen und braunen Eindruck von Algerien. Dies änderte sich heute als ich mit dem Auto in die Berge fuhr. Die Strecke war abwechslungsreich und zum Teil von niedrigen Kiefern und blühenden Oleandern geprägt. Erst als es zurück ins Tal ging, gewannen die Palmen wieder die Oberhand.

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Eigentlich ist es ungünstig, dass meine Besichtigungstouren immer genau in die Mittagszeit fallen. So brannte auch jetzt wieder die Sonne mit 36°C, als ich die Oase von Ghoufi besuchte. Die balcons de Ghoufi sind mittlerweile verlassene Häuser, die sich an den Hang einer Schlucht schmiegen, an deren Grund sich eine große Oase erstreckt. Das gewundene Tal erinnerte an einen Canyon, doch die Oase war in keinem guten Zustand. Viele Palmen waren verkohlt – es schien gebrannt zu haben. Dennoch strahlte der Ort eine ruhige und friedliche Atmosphäre aus. Der Spaziergang zwischen Feigen, Granatäpfeln und Kaktusfeigen tat gut.

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Ghoufi

Weiter ging es nach Biskra, von wo die besten Datteln Algeriens kommen sollen. Doch ich verzichtete darauf, mein klimatisiertes Auto zu verlassen. Das Thermometer hatte wieder die 45°C-Marke erreicht, weshalb ich mich auf die Fahrt durch die Oase beschränkte und gleich weiter zurück ins Gebirge nach Norden fuhr. Kurz vor Batna bog ich allerdings nach Westen ab, in den Belezma Nationalpark. Die Fahrt führte mich durch eine waldreiche Landschaft mit vielen Tieren bis Mérouana und wieder zurück nach Batna.

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Amazigh, die Schrift der Berbersprache

Donnerstag, 20. Juli 2017
Der letzte volle Tag in Algerien brach an: einerseits war ich leicht wehmütig ob des nahenden Endes, andererseits schien der Abflug noch in weiter Ferne, lagen doch noch knapp 400 Kilometer Fahrt vor mir. Zwischen Batna und Sétif hab ich schließlich auch die ersten Kamele des Urlaubs gesehen. Hamid hatte zwar viel von ihnen erzählt und berichtet, dass sie noch immer weit verbreitet sind, aber bisher haben sie sich gut versteckt.

Bis auf eine halbstündige Verzögerung bei Sétif – eine falsche Abfahrt war schuld –, bin ich gut durchgekommen. Am Rande der Autobahn sah man in regelmäßigen Abständen Kontrolltürme der Polizei. Angehalten wurde ich bei den an jeder großen Kreuzung, vielen kleinen und oftmals auch dazwischen aufgebauten Polizeikontrollstationen kein einziges Mal. Also war auch hier die Sorge unbegründet. Laut Auswärtigem Amt wäre ein freies Reisen nur in der Wilaya von Algier möglich und außerhalb, speziell in den Ausläufern der Kabylei, seien zwei Tage im Voraus zu buchende Eskorten erforderlich. Es hat sich ausgezahlt, es auf gut Glück dennoch zu probieren!

Es war noch Zeit, also entschied ich mich Algier links liegen zu lassen und fuhr weiter nach Blida, wo ich die Autobahn verließ und langsam über Landstraßen durch üppig grüne Obst- und Gemüseplantagen schlich. Ziel war Tipasa am Mittelmeer, genauer: das königliche Mausoleum von Mauretanien. Dies hat allerdings nichts mit dem heutigen Land Mauretanien zu tun, sondern bezieht sich auf die antike Landschaft Mauretanien, die von Marokko bis Constantine reichte. Begraben ist hier Cleopatra Selene, eine Tochter der ägyptischen Königin Cleopatra und ihres römischen Liebhabers Marcus Antonius. Es ist dem Mausoleum in Medracen sehr ähnlich, allerdings größer und besser erhalten. Leider konnte man es nur von außen besichtigen.

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Das königliche Mausoleum von Mauretanien

Die letzte Etappe ging durchs Zentrum Algiers zu einem Carréfour im Osten der Stadt, um noch ein paar kleine Andenken zu kaufen. Leider gab es wieder keinen Safran. Gegen 18:30 Uhr gab ich das Auto ab und begab mich zu Fuß ins internationale Terminal des Flughafens Houari Boumedienne. Nun hieß es warten… und ärgern. Ich wollte meine übrigen Dinar zurück tauschen, doch nun rächte es sich, dass ich schwarz getauscht hatte. Ohne Bankquittung konnte ich das Geld nicht zum offiziellen Kurs wechseln. Also tauschte ich einen Teil wieder schwarz zu einem miserablen Kurs zurück und behielt den Rest.

Während ich nun das Terminal auf und ab ging und auf den Check-in wartete, lief mir doch tatsächlich der Taxifahrer meines ersten Abends in Algier über den Weg. Er fragte mich, warum ich mich nicht noch einmal gemeldet hatte. Aber da mir seine Dienste etwas suspekt waren, habe ich mich mit einem halbfranzösisch Kauderwelsch herausgeredet und verabschiedet.

Freitag, 21. Juli 2017
Kurz nach Mitternacht konnte ich mein Gepäck aufgeben und die Ausreiseformalitäten erledigen. 01:30 Uhr hatte ich die letzte Schranke passiert und konnte mich in die weichen Sessel der Businesslounge sinken lassen – ich habe ein Upgrade für die Strecke Algier-Lissabon bekommen. Erst kurz nach drei Uhr hob der Flieger schließlich ab. Es war der schönste Start, den ich bis jetzt erlebt habe. Das Panorama über das nächtliche Algier mit seiner geschwungenen Küstenlinie war atemberaubend. Nach einem guten Nachtmahl bin ich eingenickt und erst im kalten Lissabon wieder munter geworden. 16°C können richtig frostig wirken.

War ich bis jetzt mit den Behörden gut klar gekommen, hatte ich nun eines der unangenehmsten Erlebnisse der Reise. So wie ich vom portugiesischen Beamten durchleuchtet und mein Gepäck misstrauisch beäugt wurde, kam ich mir richtig kriminell vor.

Ab Lissabon flog ich Economy – und ich war baff über den großen Unterschied. Weniger die Sitzqualität war das ausschlaggebende, sondern vielmehr die Verpflegung. Da ich direkt hinter der Business Class saß, konnte ich sehen, dass sie das Gleiche bekamen, was ich auf meinem Flug von ALG nach LIS hatte. In der Holzklasse bekam ich Getränke nun nicht mehr im Glas, sondern im Pappbecher gereicht. Der Braten war nicht mehr auf Porzellan angerichtet, sondern als Sandwich eingeschweißt…

Den Flug von Lissabon bis etwa Valladolid habe ich zwar verschlafen, aber zumindest konnte ich später noch die Picos de Europa und noch später den Eiffelturm von oben betrachten. In Frankfurt landete ich bei sonnigen 28°C gegen 10:30 Uhr und erreichte schließlich kurz nach 16:00 Uhr Leipzig, wo ich schon am Bahnsteig erwartet wurde…

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Paris...

Epilog
Die Fahrt nach Algerien war eine spontane Bauchentscheidung. Von Planung bis Abflug wälzte ich oft die Gedanken hin und her, ob es alles funktioniert, was ich mir vorgenommen habe. Ob ich wohlbehalten wiederkomme. Ob es ein sicheres Land ist zum Reisen. Verwandte, Bekannte, offizielle Internetseiten und inoffizielle Reiseberichte waren zum Teil skeptisch, berichteten von Reiserestriktionen, Entführungen und Eskorten. Verkompliziert die aktuelle Flüchtlingsproblematik die Reise? Entstehen dadurch Gefahren für mich?

Aber nahezu alles war unbegründet. Ich bin mit einer wahnsinnigen Gastfreundschaft aufgenommen worden, konnte mich frei im Land bewegen und hatte keinerlei Probleme mit den algerischen Behörden. Ich war mir durchaus bewusst, dass diese meine Schritte überwachten. Gerade in Ghardaia war dies auffällig, da die Beamten am Flughafen offensichtlich von meiner Ankunft unterrichtet waren. Und Flüchtlinge sah man zwar ab und zu auf den Straßen, richtig dunkle Menschen aus Mali und Niger, aber sie waren alle sehr zurückhaltend.

Alles in Allem muss man sich von diesem unbekannten Land ein eigenes Bild machen. Es hat so viele spannende Orte zu bieten, ist wahnsinnig abwechslungsreich und ist die Heimat eines wirklich gastfreundlichen Volkes.
 
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Heute kam Post... man beachte das Datum auf dem Stempel :respekt:
Ich hab eigentlich nicht mehr damit gerechnet... Fünf Monate sind mein persönlicher Rekord. Liechtenstein hatte es zumindest in zwei Monaten geschafft.

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