Hintergrundwissen:
Estnische Literatur ist die in
estnischer Sprache verfasste
Literatur. Da die Anzahl der Sprecher relativ niedrig war und ist (heute etwa eine Million Menschen) und das Estnische in den Augen der jeweiligen Machthaber und somit im Schulsystem keinen oder nur geringen Wert hatte, entstand eine estnische Literatur erst relativ spät. Gelegentlich wird auch die von Esten verfasste Literatur in deutscher, russischer oder neuerdings englischer Sprache der estnischen Literatur zugerechnet.
Die frühesten Texte
Ein Teil der estnischen Volksdichtung dürfte noch vor der Herausbildung des Estnischen aus dem Kreis der ostseefinnischen Sprachen entstanden sein. Für die Weitergabe dürften im südostseefinnischen Raum – das lässt sich aus Themen und Motiven erschließen – anders als in Finnland und Karelien meist Frauen zuständig gewesen sein, möglicherweise weil die feudale Herrschaft mit ihren Arbeits- und Abgabepflichten in Estland für die Männer weitaus drückender war als in Finnland.[1] Die Verbreitung der Schrift in Alt-Livland (im Gebiet des heutigen Estland und Lettland) fand im Zuge der deutsch-dänischen Eroberung um 1300 ihren Anfang. Die Oberschicht sprach meist Mittelniederdeutsch, die Sprache der Hanse. Mit der Zeit entwickelte sich eine estnische Zweisprachigkeit, die durch Latein als Bildungs- und Klerikersprache ergänzt wurde. Im mündlichen Sprachgebrauch der unteren Schichten vermischten sich oft das Deutsche und das Estnische, später zum Teil das Russische mit dem Estnischen.[2]
Estnische Worte finden sich erstmals in der lateinischen Chronik „Heinrici Chronicon Livoniae“ aus dem 13. Jahrhundert. Das erste Buch in estnischer Sprache erschien vermutlich 1525 mit lutherischen Texten, wurde aber im Lübecker Hafen konfisziert und verbrannt. Das älteste erhaltene Manuskript ist die Handschrift von Kullamaa (1524–1532) mit katholischen Gebeten und dem Glaubensbekenntnis. Das älteste teilweise (11 Seiten) erhaltene estnische Buch ist ein zweisprachiger niederdeutsch-estnischer Katechismus, stammt aus dem Jahr 1535 und wurde erst 1929 entdeckt. Diese Bücher und die in den Jahrhunderten darauf folgenden sind fast ausnahmslos von Deutschen, meist Geistlichen, geschrieben worden, denen Estnisch Fremd- oder Zweitsprache war. Das sprachliche Niveau dieser Literatur ist naturgemäß sehr schwankend. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um religiöse Gebrauchstexte.
Beispiele dafür sind die handschriftlich erhaltenen Predigten (1600–1606) von Georg Müller und das erste estnische Gedicht (1637) von Reiner Brocmann (1609–1647) in den für diese Sprache etwas unhandlichen Alexandrinern.[3] Unter den südestnischen Sprachen bzw. Dialekten ist Võro zu nennen, das durch Johann Gutslaffs Grammatik (1648) zur Schriftsprache wurde. 1686 fertigten Andrea Virginius und sein Sohn Adrian eine Übersetzung des Neuen Testaments in Võro (auch Tartu keel) an, die viele Auflagen erfuhr und bis ins 20. Jahrhundert verbreitet blieb. 1660 verfasste Heinrich Göseken eine Grammatik mit Wörterbuch auf der Basis des westestnischen Dialekts von Kullamaa. 1708 entstand das Klage- und Mahngedicht Oh! ma waene Tardo Liin („Ach, ich arme Stadt Tartu“) von Käsu Hans (Hans Kes oder Kässo) im vom Niederdeutschen stark beeinflussten Dialekt von Tartu, in der er die Zerstörung der Stadt durch russische Truppen im Großen Nordischen Krieg beklagte, die er auf die Sünden der Städter zurückführte. Das Gedicht, das 32 Strophen im Reimschema ababccdd umfasst, wurde nur in Abschriften überliefert. Käsu Hans ist möglicherweise der erste namentlich bekannte Dichter estnischer Abstammung.
Quelle und mehr: Estnische Literatur – Wikipedia